Großdruckereien: Transformation frisst Fortschrittsverweigerer
Die Prinovis-Gruppe, in der die Bertelsmann Printing Group (BPG) ihr Tiefdruckgeschäft gebündelt hat, schließt den deutschen Tiefdruckstandort Nürnberg, die holländische Circle Media Group stellt Insolvenzantrag für ihre holländischen Druckereien und verkauft die Bücherdruck-Gruppe CPI: Es sind schlechte Zeiten für Großdruckereien angebrochen.
Nach einer Umfrage des Bundesverbandes Druck und Medien (bvdm) unter 420 Unternehmen, die rund 24% der Beschäftigten der Druckindustrie vertreten und 2018 einen Anteil am Branchenumsatz von rund 23% ausmachen (4,8 Mrd. €), ist der Umsatz im letzten Jahr leicht rückläufig. Rechnet man die 23% hoch, läge der Branchenumsatz 2018 bei rund 20,8 Mrd. €, wäre also auf dem gleichem Niveau wie 2017 (20,8 Mrd. €).
Eigentlich beruhigend, wenn der Branchenumsatz nicht erodiert. Doch die Branche ist mit Teuerungen beim Druckpapier und steigenden Transportkosten konfrontiert. Wenn nun 42% der befragten Betriebe Einbußen beim Umsatz verzeichnen und 45% beim Gewinn, ist das nicht gerade überraschend. Beunruhigend dagegen ist aber, dass die Umsatz- und Gewinn-Einbußen umso krasser ausfielen, je größer die Unternehmen sind.
Was sind das für Unternehmen? Die großen Onlinedrucker dürften es jedenfalls nicht sein – die haben im letzten Jahr wieder an Umsatz zugelegt. Es sind wohl diejenigen, die sich im Zeitungs- und Magazingeschäft oder mit großen Kapazitäten im Segment Kataloge und Werbebeilagen tummeln. Bei denen gingen auch die Gewinne überproportional zurück.
Seit Jahren angespannt
Die Situation im Rollendruck – und ganz besonders im Illustrations-Tiefdruck – ist schon seit über einem Jahrzehnt trotz vereinzelter Hurra-Meldungen mehr als angespannt. Denn die Nachfrage nach tiefdrucktypischen Katalogprodukten in hohen Auflagen ist deutlich zurückgegangen. Bei kleineren Auflagen haben Tiefdruckereien (alleine schon wegen der aufwendigen Herstellung der Druckzylinder in der Druckvorstufe) gegenüber dem Rollenoffset die schlechteren Karten, weshalb Aufträge in den Rollenoffsetdruck abfließen. Dies führte im Tiefdruck zu Überkapazitäten, einem heftigen Wettbewerb mit Rollenoffsetdruckereien und Preiskämpfen, die darin resultieren, dass sich inzwischen Rollen- wie Tiefdrucker in einer geradezu tödlichen Abwärtsspirale befinden.
Dazu kommt noch, dass der Rollenoffsetdruck seinerseits Aufträge an den Bogenoffsetdruck verloren hat – einerseits ebenfalls wegen rückläufiger Auflagen und andererseits aufgrund der enormen Effektivitäts-Steigerung der Bogenmaschinen. Und um den Shift in Print noch deutlicher zu machen: Der Bogenoffset sieht sich inzwischen von Highspeed-Inkjet-Rollenmaschinen attackiert, die für ordentlich Druck im Markt sorgen – nachzulesen in Ausgabe 2 von beyondprint unplugged („Noch immer in der Warteschleife?“).
Doch zurück zu Rollenoffset und Tiefdruck. Dass dieser mörderische Wettbewerb früher oder später zum Kollaps führen musste, war abzusehen. Da braute sich seit längerer Zeit schon ordentlich was zusammen – und jetzt scheint das Unwetter losgebrochen zu sein. Schließungen und Insolvenzen wie bei Prinovis oder CMG spechen nicht gerade von einem erfolgreichen Geschäftsverlauf. Und auch die britische Walstead Group, die europaweit 65 Rollenoffset- und Tiefdruckmaschinen betreibt, spricht von einem Gewinnrückgang von etwa 9%.
Der Tiefdruck ist dem Rollenoffsetdruck wegen seiner kostspieligen und zeitaufwendigen Druckformenherstellung nicht gewachsen und verliert bei vergleichsweise kleinen Auflagen gegen den Rollenoffset.
Tiefdruck neu aufgestellt
Erst vor wenigen Tagen hat die Bertelsmann Printing Group die Schließung ihrer Tiefdruckerei in Nürnberg für das Jahr 2021 angekündigt. Bis Ende letzten Jahres noch hatte die Druckerei den Otto-Katalog in Millionenauflage hergestellt. Der letzte Hauptkatalog ging im November 2018 in Druck (siehe auch „Ich bin dann mal weg“). Das wurde von Insidern schon zum Jahreswechsel als Indiz für die wohl unausweichliche Schließung dieses Standorts gewertet. Davon sind nun etwa 670 Beschäftigte in Druckerei und Weiterverarbeitung betroffen sowie 250 Personen im Rahmen von Leih-, Zeit- und Werksverträgen. Zeitgleich mit der Schließung der Druckerei will Bertelsmann jetzt sein Druckgeschäft organisatorisch und personell neu aufstellen.
„Megatrends wie die Digitalisierung und Individualisierung sowie die zunehmende Konvergenz von Tief- und Offsetdruck stellen Druckereien vor erhebliche Herausforderungen“, sagt Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann, und analysiert, dass die „Papierpreissteigerungen zu einer Zurückhaltung bei vielen Kunden geführt haben. Auf diese Entwicklungen antworten wir jetzt mit einer noch stärkeren Integration unserer Druckgeschäfte.“
Prinovis ist seit 2015 Teil der Bertelsmann Printing Group. Zuvor zählten der Springer-Verlag sowie Gruner + Jahr zu den Gesellschaftern. Schon in dieser Zeit wurden die Kapazitäten mehrfach zurückgefahren: 2008 wurde der Standort in Darmstadt, 2014 die Druckerei in Itzehoe stillgelegt. Nach der Schließung der Druckerei in Nürnberg verbleiben noch die zwei deutschen Standorte Dresden und Ahrensburg bei Hamburg (nicht zu verwechseln mit der dort ebenfalls ansässigen Zeitungsdruckerei) und die Illustrationstiefdruckerei in Liverpool.
„Dass der mörderische Wettbewerb zwischen Rollenoffset und Tiefdruck früher oder später zum Kollaps führen musste, war abzusehen. Da braute sich seit längerer Zeit schon ordentlich was zusammen – und jetzt scheint das Unwetter losgebrochen zu sein.“ – Bernd Zipper
CMG-Konzern zerbröckelt
Noch heftiger eingeschlagen hat es aufgrund der strukturellen Umwälzungen in einigen Nachbarländern. Mitte April 2019 hat der Druckkonzern Circle Media Group (CMG) in Amsterdam Insolvenzantrag für die Roto Smeets BV, die Holding seiner holländischen Druckunternehmen, gestellt.
Der CMG-Konzern war erst im Frühjahr 2017 entstanden, als die Circle Printers Holding alle Anteile an der Roto Smeets Group und kurz später noch Corelio Printing in Belgien übernommen hatte. Die Circle Media Group erzielte nach der Übernahme von Roto Smeets Group und vor der CPI-Übernahme mit 2.700 Mitarbeitern einen jährlichen Umsatz von rund 550 Mio. €. Mit dem Erwerb von CPI im Juli 2018 wuchs CMG auf einen Umsatz von etwa 900 Mio. €, hatte mehr als 5.000 Mitarbeiter und 26 Produktionsstätten in zehn europäischen Ländern sowie in den Vereinigten Staaten. Denn CPI beschäftigte zum Zeitpunkt der Übernahme 2.500 Mitarbeiter an 16 Standorten in fünf Ländern (Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Spanien und Tschechien) und erzielte einen Jahresumsatz in Höhe von 360 Mio. €. Damit produzierte CMG in Summe auf 135 Druckmaschinen, davon 29 digitale Einheiten.
Jetzt sind die Roto Smeets Deventer (vier Tiefdruckmaschinen), Roto Smeets Weert und Senefelder Misset (insgesamt sieben 16- bis 72-Seiten-Rollenoffsetmaschinen und zwei Bogenoffsetmaschinen) in Doetinchem mit ihren jeweiligen Tochterfirmen insolvent. Die Konkurse seien das Ergebnis der Marktgegebenheiten in der europäischen Druckindustrie, teilte CMG mit. Nach einem akzeptablen Jahr 2017 habe man 2018 einen starken Verfall des Marktes erlebt. Die Papierpreise seien um bis zu 20% gestiegen, während die Druckvolumina doppelt so schnell zurückgingen wie im bisherigen Durchschnitt. Daneben kritisiert das Unternehmen das holländische Kündigungsgesetz, das es erschwere, den Personalbestand in sozialverträglicher Weise zu reduzieren. Die Insolvenz betrifft nach Aussage von CMG daher nicht die belgische Corelio Printing oder andere Druckereien in Österreich, Deutschland, Spanien und Ungarn.
CMG hatte sich in den Wochen zuvor jedoch bereits von seiner Tiefdruckerei Helprint in Finnland sowie der in mehreren europäischen Ländern aktiven Bücherdruck-Gruppe CPI getrennt. Und die CMG-Tiefdruckerei Helio Charleroi in Belgien wurde nach einer Insolvenz des Betriebes schon Anfang 2019 geschlossen.
Undurchsichtiger Konzern
Geht es da mit rechten Dingen zu? Im Zusammenhang mit der Insolvenz von Helio Charleroi hatte sich die Gewerkschafts-Vereinigung Uni Europa Grafik & Verpackung Ende Februar 2019 bereits kritisch gegenüber der „undurchsichtigen Investorengruppe“ CMG geäußert: „Chronische Liquiditätsprobleme führen dazu, dass in Spanien Lohnzahlungen schon seit einem halben Jahr ausbleiben. Die Investorengruppe weigert sich, ihre Geschäftsverbindungen offenzulegen, unter dem Stichwort „Konsolidierung“ wird mit Insolvenzen gehandelt, auch wirtschaftlich starke Standorte können so schnell in die Gefahrenzone geraten“, warnte Uni Europa Grafik & Verpackung.
Aus der Luft geggriffen waren die Befürchtungen der Gewerkschaft offenbar nicht. Nur knapp 10 Tage, nachdem die Circle Media Group das Aus für Roto Smeets besiegelte, gab die Konzernführung am 25. April bekannt, dass sie aufgrund des starken Mengenrückgangs ihr Druckgeschäft neu strukturieren wird und stellt weitere Druckereien zur Disposition. Die Druckaktivitäten in Österreich werden eingestellt und für die Druckgeschäfte in Belgien (Corelio Printing), Deutschland (Körner Druck und J. Fink Druckerei) sowie Spanien neue Eigentümer gesucht.
„Wir wollten eine führende Rolle bei der notwendigen Konsolidierung der europäischen Druckindustrie spielen. Wir müssen jetzt feststellen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, unsere Ziele zu verwirklichen“, sagt Peter Andreou, Executive Chairman and CEO of Circle Media Group. Das klingt nach Resignation.
Es passte nicht
Ähnlich kleinlaut klang Andreou auch, als CGM Anfang April 2019 die erst im Juli 2018 erworbene CPI-Gruppe im Rahmen einer privaten Transaktion an das Privatvermögensverwaltungsbüro RHWO verkaufte: „Einer unserer Gründe für die Übernahme der CPI war ihr Spektrum an Digitalanlagen und Supply-Chain-Lösungen. Wir haben jedoch festgestellt, dass sich die CPI und unsere Geschäftseinheiten im Werbedruck nicht im gleichen Tempo entwickelten.“
Mit jährlich 450 Mio. Büchern gilt CPI als einer der größten europäischen Buchdrucker. CPI, zu der auch Clausen & Bosse und Spiegel & Ebner in Ulm gehören, beliefert große Verlage, Industriegruppen und öffentliche Verwaltungen mit Werken aus Wissenschaft und Technik. Die 1996 gegründete CPI Gruppe ist nach eigener Aussage die erste europäische Druckerei-Gruppe, die in den Inkjet-Digitaldruck investierte und Angebote wie den On-Demand-Druck, automatische Bestandsauffüllung, Management ohne Lagerhaltung, Vertrieb und Web-to-Print umfasst.
Das passte nicht in die Struktur von CMG. Offenbar hat sich CMG auch nicht nicht zugetraut, das in CPI gesehene Wachstumspotenzial inklusive der nötigen Investments selbst zu stemmen.
My Take: Waren es bisher vor allem die kleineren Druckereien, die scheiterten, weil sie mit der Entwicklung nicht mehr Schritt halten konnten, sehen sich jetzt viele Großbetriebe in der gleichen Misere. Möglicherweise sind die Dickschiffe dem Veränderungs-Tempo nicht mehr gewachsen. Zumindest nicht die, die an den alten Strukturen festhalten – und aufgrund ihrer Technik möglicherweise auch gar nicht anders können (wie etwa der Tiefdruck). Aber Millionenauflagen und das Bedürfnis der Menschen nach immer mehr Individualität und persönlicher Ansprache passen irgendwie nicht zusammen. Das weiß man aber nicht erst seit heute.
Quelle: https://www.beyond-print.de/grossdruckereien-transformation-frisst-fortschrittsverweigerer/